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Urteil Versicherungsgericht (SG - IV 2011/410)

Zusammenfassung des Urteils IV 2011/410: Versicherungsgericht

Der Beschwerdeführer, A., beantragte die Abgabe von Unterschenkelorthesen als Hilfsmittel, die von der IV-Stelle abgelehnt wurden. Der Vater des Beschwerdeführers legte dar, dass die Orthesen für die Fortbewegung im Rollstuhl und die Vermeidung von Druckstellen notwendig seien. Das Versicherungsgericht entschied zugunsten des Beschwerdeführers und hob die Entscheidung der IV-Stelle auf, da die Orthesen als notwendiges Hilfsmittel zur Erleichterung der Fortbewegung im Rollstuhl gelten. Der Richter Martin Rutishauser, männlich, entschied über den Fall. Die Gerichtskosten betrugen CHF 500.--.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts IV 2011/410

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2011/410
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2011/410 vom 17.12.2012 (SG)
Datum:17.12.2012
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 8 Abs. 1 IVG, Art. 8 Abs. 3 lit. d IVG, Art. 21 Abs. 2 IVG. Versorgung eines körperlich schwerst behinderten Versicherten, der nicht erwerbsfähig und auch nicht im Aufgabenbereich arbeitsfähig ist, mit Unterschenkel-Orthesen zur Ermöglichung einer zumutbaren Fortbewegung mit dem Rollstuhl. Eine Unterschenkel-Orthese kann nicht nur dann als Hilfsmittel abgegeben werden, wenn sie die Gehfähigkeit wieder herstellt oder verbessert, sondern auch dann, wenn sie erst die längerdauernde Benützung eines Rollstuhls erlaubt (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom
Schlagwörter: Unterschenkel; Orthese; Hilfsmittel; Fortbewegung; Unterschenkel-Orthese; IV-act; Unterschenkelorthese; Rollstuhl; Verfügung; Orthesen; Anspruch; Unterschenkel-Orthesen; Revision; Quot; Behandlung; Unterschenkelorthesen; IV-Stelle; Transfer; Beschwerdeführers; Behandlungsgerät; Gehfähigkeit
Rechtsnorm: Art. 17 ATSG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts IV 2011/410

17. Dezember 2012, IV 2011/410). Aufgehoben durch Urteil des Bundesgerichts 9C_70/2013.

Entscheid Versicherungsgericht, 17.12.2012

Präsident Martin Rutishauser, a.o. Versicherungsrichterin Gertrud Condamin-Voney, Versicherungsrichterin Christiane Gallati Schneider; Gerichtsschreiber Ralph Jöhl

Entscheid vom 17. Dezember 2012

in Sachen A. ,

Beschwerdeführer, vertreten durch B. , gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin, betreffend

Hilfsmittel (Unterschenkel-Orthesen) Sachverhalt:

A.

    1. A. wurde am 4. Dezember 1990 zum Bezug von IV-Leistungen für Erwachsene angemeldet (IV-act. 71), nachdem ihm zuvor Pflegebeiträge ausgerichtet worden waren. Er litt (IV-act. 2) an den Geburtsgebrechen Nr. 183 (Luxatio coxae congenita und Dysplasia coxae congenita), Nr. 387 (angeborene Epilepsie) und Nr. 387 (angeborene cerebrale Lähmungen, spastisch, athetotisch und ataktisch). Der Berufsberater hielt am 3. Januar 1991 fest (IV-act. 70), es bestehe eine schwere zere­ brale Schädigung mit Tetraspastizität und massiver Einschränkung der Hirnleistungs­ fähigkeit. Der Versicherte könne sich nicht verbal verständigen. Das Sprachverständnis sei sehr begrenzt. Er brauche für alles Hilfe und Pflege. Seit Herbst 1990 lebe er in der Stiftung C. . Die D. AG, Orthopädie-Technik-Rehabilitation, reichte am 20. Februar 1998 einen Kostenvoranschlag für eine Unterschenkelorthese links ein (IV-act. 193-3). Die IV-Stelle verfügte am 27. Februar 1998 eine Kostengutsprache (IV-act. 142). Diese Verfügung enthielt folgenden Passus: "Hilfsmittel vom 01.02.1998 bis 31.01.2008 (Revision)". Die Hilfsmittellieferantin reichte am 14. Juni 2001 wieder einen Kostenvoranschlag für eine Unterschenkelorthese ein. Die Kostengutsprache wurde gestützt auf die Verfügung vom 27. Februar 1998 ohne weiteres erteilt (IV-act. 161).

    2. Die IV-Stelle forderte beim Kinderspital Zürich am 8. Juli 2009 einen Bericht an, da sie eine Rechnung für einen Spezialschuh zur Unterschenkelorthese erhalten hatte (IV-act. 188-2 ff.). Dr. med. E. , Leitender Arzt, teilte ihr am 21. September 2009 mit (IV-act. 188-1), der Versicherte leide an einer Tetraspastik bei CP. Im Rahmen dieser Erkrankung zeige sich eine Fussdeformierung im Sinn einer Valgusabduktionsdeformität bds. Deshalb benötige der Versicherte eine Versorgung mit Orthesen und passenden Schuhen. Dies diene der Erhaltung der Streck- und Gehfähigkeit. Dr. med. F. vom RAD notierte am 23. Oktober 2009 (IV-act. 189),

      Spezialschuhe für Personen mit Unterschenkelorthesen seien i.d.R. ausgewiesen. Die IV-Stelle verfügte am 26. Oktober 2009 die Übernahme der Kosten für die orthopädischen Spezialschuhe für den Zeitraum vom 30. Juni 2009 bis 29. Juni 2011 (Revision). Mit einem Voranschlag vom 31. Dezember 2010 (IV-act. 196) wurden auch die Kosten einer abnützungsbedingten Reparatur an der Unterschenkelorthese beantragt. Die Sachbearbeiterin der IV-Stelle notierte am 17. Januar 2011 (IV-act. 198), da es sich beim Versicherten um eine schwerst behinderte Person handle, frage sie sich, ob die Unterschenkelorthese lediglich als Behandlungsgerät eingesetzt werde. Sie erkundigte sich beim zuständigen Arzt des RAD, ob noch eine gewisse Gehfähigkeit bestehe, so dass die Unterschenkelorthese nicht als Behandlungsgerät zu werten sei und deshalb eine Kostengutsprache erfolgen könne. Dr. F. vom RAD empfahl, mit der Beantwortung dieser Frage bis zur Neu-/Folgeverordnung zuzuwarten.

    3. Die D. AG stellte am 23. Mai 2011 zwei neue Unterschenkelorthesen in Rechnung (IV-act. 201). Dr. E. berichtete am 19. Juli 2011 (IV-act. 202-4), es bestehe eine ausgeprägte Streckhaltung der Hüft- und Kniegelenke, die passiv nur schwer zu korrigieren sei. Der Versicherte brauche deshalb eine regelmässige Physiotherapie zur Durchbiegung der Gelenke. Daneben trage er Unterschenkelorthesen, um in diesen die ausgeprägt deformierten Füsse in einer möglichst normalen Haltung einstellen und damit auch im Rollstuhl stabil positionieren zu können. Die zuständige Sachbearbeiterin der IV-Stelle notierte am 23. August 2011, dass der Versicherte mit und ohne Orthese weder geh- noch stehfähig sei. Wenn die Unterschenkelorthesen als Behandlungsgerät zu werten seien, dienten sie nicht der Fortbewegung, so dass die Übernahme der Kosten ausgeschlossen sei. Dr. med. F. vom RAD führte dazu aus, bei einer nicht steh- und gehfähigen Person diene die Unterschenkelorthese nicht der Fortbewegung. Dafür benötige die versicherte Person einen Rollstuhl. Der Bedarf für die Fortbewegung sei aber Voraussetzung für einen Anspruch auf das Hilfsmittel. Die Sachbearbeiterin hielt am 1. September 2011 fest, Orthesen gälten nur als Hilfsmittel, wenn sie unmittelbar der Fortbewegung (Gehfähigkeit) dienten. Hier stehe aber aus medizinischer Sicht der Behandlungscharakter im Vordergrund. Behandlungsgeräte gingen nicht zu Lasten der Invalidenversicherung. Mit einem Vorbescheid vom 21. September 2011 kündigte die IV-Stelle dem Versicherten die Abweisung des Gesuchs um die Abgabe von Unterschenkelorthesen als Hilfsmittel an, weil diese unmittelbar der Fortbewegung

dienen müssten, um als Hilfsmittel zu geltend (IV-act. 205). Dr. E. wandte am 10. Oktober 2011 ein (IV-act. 207-2), der Versicherte benötige die Unterschenkelorthesen zur korrekten Positionierung der Füsse auf dem Rollstuhl mit dem Ziel einer stabilen Sitzposition. Er sei aber auch für den Transfer auf die Unterschenkelorthese angewiesen, denn ohne sie könne er bei einem Transfer keine Gewichtsübernahme ausführen. Der Vater des Versicherten machte am 17. Oktober 2011 geltend (IV-act. 209), dieser benötige die Unterschenkelorthesen, um im Stehbrett aufrecht arbeiten zu können, für den Transport mit dem Rollstuhl und für den Transfer vom Rollstuhl ins Bett. Ohne einen ausgeglichenen Druck sitze der Versicherte unbequem im Rollstuhl. Der unterschiedliche Druck auf das Gesäss erzeuge Druckstellen und längerfristig offene Stellen am Gesäss. Der Transfer ins Bett bestehe in einem Aufstehen vom Rollstuhl, damit der Versicherte stehend gut gefasst und ins Bett gelegt werden könne. Dr. med. Z. vom RAD notierte dazu am 30. November 2011 (IV-act. 211), die Massnahme im Stehbrett diene der Behandlung (Muskelaktivierung) und nicht der Fortbewegung. Die Transferhilfe sei keine Fortbewegung, da es sonst keinen Unterschied zwischen Behandlungsgerät und Hilfsmittel mehr geben würde. Die IV- Stelle wies das Begehren des Versicherten am 1. Dezember 2011 mit der Begründung ab, der Behandlungscharakter der Unterschenkelorthesen stehe klar im Vordergrund (IV-act. 212).

B.

    1. Der Vater des Versicherten erhob am 23. (richtig: 21.) Dezember 2011 Beschwerde (act. G 1). Er machte geltend, bei den Unterschenkelorthesen handle es sich um ein Fortbewegungsgerät bei der Arbeit. Am Abend würden sie helfen, die paar Schritte bis zum Bett zu gehen. Im Rollstuhl sei der Versicherte durch die Orthesen richtig positioniert, damit das Gesäss nicht eine einzige offene Wunde sei.

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragte am 7. März 2012 die Abweisung der Beschwerde (act. G 8). Sie machte geltend, der Beschwerdeführer sei nicht erwerbstätig. Die aufrechte Position im Stehbrett diene in erster Linie der Behandlung (Aktivierung der Muskeln) und nicht der Fortbewegung. Mit dem Stehbett und der Transferhilfe sei keine eigentliche Fortbewegung begründet.

    3. Die Gerichtsleitung bewilligte am 19. März 2012 die unentgeltliche Rechtspflege

(G 9).

Erwägungen:

1.

Das Dispositiv der Verfügung vom 27. Februar 1998 lautet: "Hilfsmittel vom 01.02.1998 bis 31.01.2008 (Revision) - Unterschenkel Orthese nach ärztlicher Verordnung". Mit der angefochtenen Verfügung vom 1. Dezember 2011 hat die Beschwerdegegnerin einen Anspruch des Beschwerdeführers auf den Ersatz der am 27. Februar 1998 bewilligten Unterschenkelorthese verneint. Begründet hat sie dies damit, dass die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Sie ist also davon ausgegangen, dass sie befugt sei, den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Unterschenkel-Orthese umfassend zu prüfen. Im Ergebnis hat die Beschwerdegegnerin also vorausgesetzt, dass die Wirksamkeit der Verfügung vom 27. Februar 1998 auf die Zeit bis 31. Januar 2008 beschränkt gewesen sei, dass es sich also um eine Leistungszusprache auf eine beschränkte Zeit, nämlich bis 31. Januar 2008 gehandelt habe. Trifft diese Interpretation der Verfügung vom 27. Februar 1998 zu, so ist es tatsächlich zulässig (und notwendig) gewesen, das Gesuch um den Ersatz der 1998 abgegebenen Unterschenkel-Orthese ohne jede Bindung an jene Verfügung zu prüfen. Der Wortlaut des Dispositivs der Verfügung vom 27. Februar 1998 deutet allerdings eher darauf hin, dass die Unterschenkel-Orthese damals auf unbestimmte Zeit zugesprochen worden sein könnte, also bereits einen allfälligen Anspruch auf Ersatz für den Fall des Verbrauchs der ursprünglichen Unterschenkel-Orthese enthalten hätte. Diese zeitliche unbeschränkte Hilfsmittelzusprache hätte allerdings unter dem Revisionsvorbehalt gestanden, worauf der in Klammern gesetzte Hinweis "Revision" hinweisen kann. Die Verfügung vom 27. Februar 1998 könnte also auch so verstanden werden, dass die Zusprache einer Unterschenkel-Orthese auf unbestimmte Zeit erfolgt sei und dass am

30. Januar 2008 von Amtes wegen ein Revisionsverfahren nach Art. 17 Abs. 2 ATSG hätte eröffnet werden müssen. Bei dieser Interpretation der Verfügung vom 27. Februar 1998 könnte es sich bei dem mit der hier angefochtenen Abweisungsverfügung beendeten Verwaltungsverfahren nur um ein Revisionsverfahren gehandelt haben. Die Einstellung der Versorgung mit einer Unterschenkel-Orthese wäre also nur damit zu

rechtfertigen gewesen, dass sich der anspruchsbegründende Sachverhalt so verändert hätte, dass kein Bedarf nach diesem Hilfsmittel mehr bestanden hätte. Das ist nicht der Fall gewesen, denn der Beschwerdeführer trägt nach wie vor eine Unterschenkel- Orthese. Es hätte also eine neue Unterschenkel-Orthese abgegeben werden müssen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es - zumindest im Hilfsmittelbereich

  • der IV-Stelle erlaubt, unabhängig von der prognostizierten Dauer des Leistungsbedarfs die Wirksamkeit der Leistungsverfügung zeitlich zu begrenzen und damit die Möglichkeit zu eröffnen, den Leistungsanspruch periodisch von Grund auf neu zu prüfen (vgl. etwa das Bundesgerichtsurteil vom 24. Mai 2005, I 88/04, Erw. 3.1, in dem zwar die Praxis zur Zeitrentenzusprache erwähnt, aber nicht darauf hingewiesen worden ist, dass die dort bestehenden Einschränkungen auch auf die Hilfsmittelzusprache anwendbar wären; da es also keine solchen Einschränkungen gibt, kann die zeitliche Begrenzung der Hilfsmittelversorgung, wie der vorliegenden Fall zeigt, de facto ohne Bindung an irgendwelche Regeln, d.h. willkürlich festgesetzt werden). Die Vorgehensweise der Beschwerdegegnerin zwingt zum Schluss, dass die richtige Interpretation der Verfügung vom 27. Februar 1998 nur die zeitliche Begrenzung der Zusprache der Unterschenkel-Orthese bis 31. Januar 2008 gewesen sein kann, dass das Anfügen des Wortes "Revision" also nur versehentlich erfolgt ist. Mit dem Ende der Wirksamkeit der Verfügung vom 27. Februar 1998 am 31. Januar 2008 hat demnach wieder ein verfügungsloser Zustand vorgelegen, d.h. die Beschwerdegegnerin hat ohne jede Bindung an die Verfügung vom 27. Februar 1998 umfassend neu prüfen können, ob ein Anspruch auf eine Unterschenkel-Orthese bestehe. Das lässt sich zwar weder mit dem System bestehend aus Art. 49 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 ATSG, das eine willkürliche zeitliche Stückelung der Leistungszusprache bei einem erkennbar auf unbestimmte Dauer bestehenden Leistungsbedarf eigentlich ausschliessen würde, noch mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes in Übereinstimmung bringen, ist aber verbindlich, da die Verfügung vom 27. Februar 1998 unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist.

    2.

    Invalide von einer Invalidität bedrohte Personen haben einen Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit diese notwendig und geeignet sind, die

    Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, wieder herzustellen, zu erhalten zu verbessern, und soweit die Voraussetzungen für den Anspruch auf die einzelnen Massnahmen erfüllt sind (Art. 8 Abs. 1 IVG). Zu den Eingliederungsmassnahmen gehören auch die Hilfsmittel (Art. 8 Abs. 3 lit. d IVG). In Art. 21 Abs. 2 IVG ist die Anspruchsberechtigung abweichend von Art. 8 Abs. 1 IVG auch auf Versicherte ausgedehnt worden, die infolge ihrer Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontakts mit der Umwelt für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedürfen. Diese Versicherten haben ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit einen Anspruch auf solche Hilfsmittel. Diese Ausdehnung der Anspruchsberechtigung ist mit der 1. IV-Revision vom 5. Oktober 1967 erfolgt. In seiner Botschaft vom 6. April 1967 zu dieser Revision hat der Bundesrat sinngemäss ausgeführt, bei Invaliden, die behinderungsbedingt von einer Erwerbstätigkeit einer Betätigung im Aufgabenbereich ausgeschlossen seien, "bedeuten […] Behelfe, die der Förderung der Selbständigkeit des Kontakts mit der Umwelt dienen, eine sehr wertvolle

    Hilfe" (BBl 1967 I S. 676). Allerdings sollten nur kostspielige Geräte abgegeben werden (vgl. BBl 1967 I S. 677). Die im Hinblick auf die Verhältnismässigkeit notwendige Beschränkung der Hilfsmittelabgabe bei Versicherten, denen damit weder eine Erwerbstätigkeit noch eine Betätigung im Aufgabenbereich ermöglicht werden kann, soll also nach dem Willen des historischen Gesetzgebers nicht durch eine Beschränkung auf jene Fälle erfolgen, in denen ein grosser Erfolg des Hilfsmittels in Bezug auf die Fortbewegung, den Kontakt mit der Umwelt die Selbstsorge erreicht werden kann, sondern die Kosten sollen massgebend sein. Hilfsmittel, die geringe Kosten verursachen, sollen weiterhin von den Versicherten selbst angeschafft werden. Ein kostspieliges Hilfsmittel soll aber bereits dann abgegeben werden können, wenn damit ein Fortschritt in der Fortbewegung, beim Kontakt mit der Umwelt bei der Selbstsorge erreicht werden kann. Ein Anspruch auf ein der Fortbewegung dienendes kostspieliges Hilfsmittel besteht also nicht nur dann, wenn damit eine selbständige und uneingeschränkte Fortbewegung ermöglicht wird. Es genügt, wenn die Fortbewegung überhaupt ermöglicht wenigstens erleichtert wird und wenn der Gewinn an Fortbewegungsmöglichkeit den Kosten des Hilfsmittels entspricht. Es ist also entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht notwendig, dass wieder eine Fortbewegung im Sinn des Gebrauchs der Beine ermöglicht wird. Vielmehr genügt eine erhebliche Erleichterung der Fortbewegung mittels eines Rollstuhls, denn die Art

    der Fortbewegung ist irrelevant, weil nur eine Verbesserung der Bewegungsfreiheit und nicht die Ermöglichung des selbständigen Gehens das Ziel der Hilfsmittelversorgung gemäss Art. 21 Abs. 2 IVG sein kann. Es ist deshalb auch gar nicht notwendig, dass die Bedienung des Rollstuhls selbständig erfolgen kann. Dies erklärt, weshalb dem Beschwerdeführer mit Selbstverständlichkeit ein Rollstuhl abgegeben worden ist, obwohl er damit nicht selbständig umgehen kann und obwohl damit offensichtlich keine Gehfähigkeit erreicht werden kann. Diese Kriterien müssen auch für die Unterschenkel-Orthesen gelten. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Beschwerdegegnerin den Anspruch des Beschwerdeführers auf die Abgabe von Unterschenkel-Orthesen davon abhängig machen will, dass damit die Gehfähigkeit verbessert werden kann. Es muss genügen, wenn die Unterschenkel-Orthesen die Fortbewegung des Beschwerdeführers im Rollstuhl ermöglicht erheblich erleichtern. Diese Bedingung ist erfüllt, denn Dr. E. hat überzeugend dargelegt, dass der Beschwerdeführer die Unterschenkel-Orthesen benötige, um seine deformierten Füsse beim Sitzen im Rollstuhl in einer möglichst normalen Haltung einstellen und damit im Rollstuhl stabil positionieren zu können. Der Vater des Beschwerdeführers hat

  • ebenfalls überzeugend - angegeben, dieser sitze ohne Unterschenkel-Orthese unbequem im Rollstuhl, so dass es zu Druckstellen und längerfristig sogar zu offenen Stellen am Gesäss komme. Damit steht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit fest, dass der Beschwerdeführer zur Fortbewegung nicht nur auf einen Rollstuhl, sondern auch auf Unterschenkel-Orthesen angewiesen ist, da er ersteren nur in zumutbarer Weise nutzen kann, wenn er letztere trägt. Bei den Unterschenkel-Orthesen handelt es sich also um ein zur Fortbewegung notwendiges Hilfsmittel, das im Übrigen auch als kostspielig zu qualifizieren ist. Damit kann offen bleiben, ob es sich bei den Unterschenkel-Orthesen im Zusammenhang mit dem Transfer vom Rollstuhl ins Bett um ein Hilfsmittel (Fortbewegung) nur um ein Behandlungsgerät (Erleichterung der Pflegearbeit) handelt. Es genügt, wenn die Fortbewegung im Rollstuhl zumutbarerweise nur zusammen mit dem Tragen von Unterschenkel-Orthesen möglich ist. Die Beschwerdegegnerin hat demnach zu Unrecht die Abgabe von Unterschenkel-Orthesen verweigert.

3.

Die angefochtene Verfügung vom 1. Dezember 2011 ist deshalb aufzuheben und der Anspruch des Beschwerdeführers auf die Abgabe von Unterschenkel-Orthesen ist zu bejahen. Die Sache ist zur Prüfung der von der Firma D. AG erstellten Unterschenkel-Orthesen sowie der entsprechenden Rechnung Nr. 625624 vom 23. Mai 2011 (vgl. IV-act. 201) an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Dieser Ausgang des Verfahrens ist als vollständiges Obsiegen des Beschwerdeführers zu qualifizieren, so dass die Beschwerdegegnerin für die Gerichtskosten aufzukommen hat. Damit erweist sich die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege als gegenstandslos. Da der Beurteilungsaufwand leicht unterdurchschnittlich gewesen ist, wird die Gerichtsgebühr auf Fr. 500.-- festgesetzt.

Demgemäss hat das Versicherungsgericht im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP entschieden:

  1. Die Beschwerde wird dahingehend gutgeheissen, dass die angefochtene Verfügung vom 1. Dezember 2011 aufgehoben und dem Beschwerdeführer die leihweise Abgabe von zwei Unterschenkel-Orthesen zugesprochen wird; die Sache wird zur weiteren Prüfung im Sinn der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

  2. Die Beschwerdegegnerin hat eine Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- zu bezahlen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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